In vergangenen Jahr hatte die Corona-Pandemie einen großen Einfluss auf die Kreativszene weltweit. Wie hat sie das Schriftdesign verändert?
Wir sind alle viel empfänglicher geworden für Zusammenhänge, und ich glaube, dass dieser Trend mittel- bis langfristig in der Business-Kommunikation Wirkung zeigen wird. Hinsichtlich der kurzfristigen Veränderungen hat die Pandemie in den ersten sechs Monaten vor allem die digitale Transformation beschleunigt. Und weil sich viele Unternehmen verstärkt in den digitalen Raum bewegt haben, bekamen die Themen Branding und Typografie hier entweder einen neuen Stellenwert oder eine neue Richtung. Ich denke, dass die Digitalisierung 2.0 die Rolle der Schrift als Markenbaustein in einigen Bereichen gestärkt hat, in denen sie zuvor nicht als besonders wichtig erachtet wurde.
Mittel- bis langfristig denke ich, dass Marken auf die Veränderungen in unserem Lebensstil, die neue Art zu arbeiten und unseren Erwartungen an Produkte und Dienstleistungen reagieren werden. Noch weiß niemand genau, wie das im Detail aussehen wird, aber ich denke, es hat bereits einen stilistischen Einfluss und wir können schon einige ästhetische Veränderungen sehen.
Im Trendreport ist die Rede vom Wiederaufleben der „authentischen Schrift“, ist das eine dieser ästhetischen Veränderungen?
Ja. Aufgrund der plötzlichen Veränderungen und so mancher Disruption, die wir erlebt haben, versuchen viele Marken in der Kommunikation mit ihrem Publikum, Gefühle von Authentizität und Vertrautheit einzubauen. Ich denke, dass sich dies auch in der Auswahl von Schriften zeigen wird, Schriften, die ein Gefühl von Nostalgie und die Vorstellung von Gemütlichkeit und Vertrauen hervorrufen. Ein gutes Beispiel ist das Rebranding von Burger King durch JKR Ende 2020. Ein sehr erfolgreiches Rebranding, das superweiche Retro-Schriften als zentralen Bestandteil der Identität einsetzt. Unser Trendbericht zeigt weitere Beispiele in dieser Richtung, unter anderem von Fisher Price und Dunkin’ Donuts … unbedingt reinschauen!
Welche Änderungen und Entwicklungen sind noch zu erwarten?
Die Kreativen machen gerade interessantere Sachen mit Schriften. Ich weiß nicht, ob es im Zusammenhang mit der Pandemie steht, oder viel mehr der Tatsache geschuldet ist, dass Marken und Services zunehmend im gleichen Raum konkurrieren und damit die Notwendigkeit wächst, sich von anderen abzuheben.
Oft verbergen sich ganz pragmatische Gründe hinter Trends. Ich sehe zum Beispiel einen Zusammenhang zwischen der Sans-Serif-Welle und der wachsenden Bedeutung von User-Interface- und User-Experience-Design im Branding. Das Bedürfnis nach konsistenten, einfachen und zugänglichen Benutzererlebnissen über die Kanäle Print, Websites und Apps hinweg ist für große und einflussreiche Marken von enormer Bedeutung. Eine humanistische serifenlose Schrift meistert die damit verbundenen Anforderungen sehr gut, was sicherlich dazu beigetragen hat, den Sans-Trend zu beschleunigen.
Wir sehen jetzt aber auch das Bedürfnis, die typografische Identität mit einer besseren Wiedererkennung zu stärken. Unser Gespräche mit Weltmarken zeigen, dass sowohl eine Wende zu ausdrucksstärkeren Schriften bevorsteht als auch die experimentellere Nutzung von beweglicher, animierter Schrift auf Basis der Variable-Font-Technologie gewagt wird. Wir schon bald werden mehr Vielfalt in der Schriftlandschaft sehen, was ich als eine willkommene Entwicklung betrachte.
Im letzten Jahr war einer der Haupttrends der Bedarf an globaler Sprachabdeckung … ist dieser immer noch aktuell?
Ich denke, dass sich dieser Bedarf von einem Trend zu einem dauerhaften Merkmal in unserer Industrie entwickelt hat. In einer globalen Welt gibt es einfach die Notwendigkeit einer einheitlichen typografischen Stimme über alle Regionen und Sprachen hinweg, mit dem Ziel, die Konsistenz der Marke aufzubauen und zu pflegen. Dies wurde vor allem durch neutrale, serifenlose Designs erreicht, und zwar aus denselben Gründen, die ich oben genannt habe. Es wird interessant sein zu beobachten, wie es weitergeht, wenn sich globale Marken demnächst für ausdrucksstärkerer, kontrastreiche Schriftstile entscheiden und Multiscript-Support brauchen.
Was macht Ihrer Meinung nach eine Schrift zeitlos?
Für mich als Schriftentwerfer ist die Zeitlosigkeit eng damit verknüpft, wann und wie bestimmte Schriften zu Genres werden. Wir alle kennen die gut etablierten Schriftklassen wie Humanist, Transitional, Slab Serif oder Sans Serif. Diese begannen alle mit dem Auftritt einer oder mehrerer wegweisender Pionierschriften, die erst zum Trend wurden und später zu einem Genre. Parallel dazu verkörpern zeitlose Schriften eine gewisse Neutralität, eine Konsistenz in den Designmerkmalen und ein Gleichgewicht von Schönheit und Nutzen.
In dem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass viele Schriften dieses Etikett von Zeitlosigkeit ganz automatisch erhalten, wenn sie weit verbreitet sind. Dies kann passieren, wenn eine Schrift durch eine verbreitete Druck- oder Publishing-Technologie, ein populäres Betriebssystem oder durch erfolgreiches Marketing dauerhaft erfolgreich ist. Zeitlose Schriften vereinen meiner Ansicht nach eine Kombination aus diesen Merkmalen: Schönheit, Nützlichkeit, Vertrautheit und als Folge davon kulturelle Resonanz und Relevanz.