Schriftentwicklung und die Relevanz dessen, was man nicht sehen kann.
Guy Mayger, Font-Engineer bei Monotype.
Schriften haben mehr zu bieten als gutes Aussehen. Unter ihrer geschliffenen Oberfläche verbirgt sich eine komplexe Anordnung von Daten und Funktionen, die nur wenige Menschen zu Gesicht bekommen. Dennoch ist diese versteckte Welt wesentlich für die Zuverlässigkeit, die Leistung und das Erscheinungsbild einer Schrift.
Es sollte also nicht überraschen, dass es eine Menge verschiedener Experten bedarf, um eine gut gemachte Schrift zu produzieren. Die Designer, oft ein ganzes Team, grübeln über die Details, um die Buchstabenformen richtig zu gestalten: Von der Recherche über Skizzen bis hin zu Bearbeitungen, Überarbeitungen und Varianten.
Doch sobald die Designer fertig sind, gibt es einen weiteren wichtigen Schritt, um sicherzustellen, dass die Font-Dateien selbst – das tatsächliche Produkt, das erstellt und auf die Rechner der Benutzer heruntergeladen wird – diese Entwürfe fehlerfrei darstellen: das Font-Engineering.
Was steckt eigentlich in einem Font?
Die meisten Menschen erleben Schrift nur in ihrem finalen Auftritt – indem sie zum Beispiel Text auf einer Plakatwand lesen oder selbst einen schreiben. Wir erleben Schrift ähnlich wie ein Auto: Die meisten von uns interessiert zuallererst wie es fährt und wie es aussieht, obwohl unter der Motorhaube eine Menge passiert.
Ein Font ist eine Software, die sowohl aus Daten als auch aus Code besteht, die beide untereinander und mit den Anwendungen und dem Betriebssystem interagieren, auf dem er installiert ist. Zu den Daten gehören Elemente wie die Konturen der Buchstaben, Metriken wie Vor- oder Nachbreite, der Zeichenabstand, vertikale Abstände, Bezeichnungen für Schriftfamilien- oder Stilnamen, dazu Copyright- und Marken-Einträge. Der Code definiert das Verhalten der Schrift, zum Beispiel am Bildschirm mittels TrueType-Instruktionen oder PostScript-Hints; oder das Zusammenspiel der Buchstaben in einer Zeile über das OpenType-Line-Layout.
Dateiformat: OpenType.
OpenType wurde um die Jahrtausendwende entwickelt und ist mittlerweile zum primären Standardformat für digitale Schriften avanciert – die digitale Grundlage also, mit der ein Font gebaut wird.
Das OpenType-Format ist sehr flexibel und leicht zu erweitern. Das Format wächst und entwickelt sich ständig weiter, sobald neue Technologien und neue Anwendungsfälle ins Spiel kommen. Es unterstützt umfangreiche Zeichensätze, ungezählte Sprachen, funktioniert sowohl auf Desktop- wie auf Mobilgeräten und in digitalen Anzeigen, und bietet eine Menge typografischer Features an, darunter Kapitälchen, Ligaturen oder Alternativzeichen, die das typografische Gestalten verfeinern.
Diese erweiterten Funktionalitäten werden in der Latin-Welt eher als ein „Sahnehäubchen“ betrachtet, doch für das Setzen der komplexen arabisch oder indisch basierten Schriften sind sie eine Grundvoraussetzung. Während beispielsweise im Lateinischen zwei Fälle von jedem Buchstaben existieren (Groß- und Kleinbuchstabe), existieren im Arabischen oft mehr als zwei Formen eines Buchstabens, und die richtige hängt vom Kontext der umgebenden Buchstaben ab. Die Form ändert sich, je nachdem, ob sie am Anfang, in der Mitte oder am Ende eines Wortes steht oder alleine steht.
Solche kontextuellen Glyphenersetzungen sind im Font als Code gespeichert, der vom Schrift-Renderer auf dem betreffenden Gerät ausgeführt wird. Ohne diese Technik würden sich die Zeichen nicht richtig zusammenfügen und man könnte den Text nicht lesen.
Die Daten: Interne Tabellen.
Das Verständnis dafür, welche Merkmale und Funktionen in eine OpenType-Schrift eingebaut werden, stellt nur den ersten Schritt für das Konzept einer funktionierenden Font-Datei dar. Der zweite Schritt besteht in dem Wissen, wie diese Funktionalitäten in die Font-Software eingebaut und eingetragen wird. Ein OpenType-Font besteht aus einer Serie von Tabellen, von denen jede ihre eigene Struktur hat, so dass die Entwickler sowohl Daten als auch Code effizient und standardisiert speichern können. Einige Tabellen sind erforderlich, damit der Font auf jedem OpenType-kompatiblen System funktioniert. Andere sind optional und können von der angesprochenen Plattform oder Anwendung verwendet werden oder nicht.
Ein erfahrener Font-Ingenieur weiß, welche Anforderungen für die einzelnen Umgebungen zu erfüllen sind, so dass man Fonts entwickeln kann, die in jedem spezifischen Szenario wie erwartet funktioniert. Details wie die Darstellung der Namen in den Schriftmenüs von Anwendungen, vertikale Metriken, der Grad des Hintings und viele kleinere Aspekte des Verhaltens der Schrift werden durch die in verschiedenen Tabellen gespeicherten Daten gesteuert.
Wenn bestehende Schriften aktualisiert oder überarbeitet werden, kann das Engineering noch komplizierter werden. Schon kleinste Änderungen der Schriftdaten können unbeabsichtigte Folgen für die Benutzer haben. So können Änderungen der Metriken dazu führen, dass alte Dokumente nach Aktualisierung der Fonts ihren Umbruch verändern. Da eine Schrift im Laufe der Zeit durch das Hinzufügen neuer Zeichen oder eventuell verbessertes Hinting weiterentwickelt wird, ist es entscheidend, dass bestimmte „Altdaten“ unangetastet bleiben, um Änderungen der Funktionalität oder des Erscheinungsbildes bei den Benutzern zu verhindern.
Die Rolle der Font-Ingenieure.
„Die Aufgabe der Font-Ingenieure bei Monotype besteht darin, die Schriftentwürfe vom Design-Team zu übernehmen und sie in hochwertige Font-Software zu verwandeln“, so Guy Mayger, ein Schriftentwickler von Monotype mit über 35 Jahren Erfahrung.
Die Tätigkeit der Font-Ingenieure ist breit gefächert und schlichtweg unverzichtbar. Sie verantworten die technischen Voraussetzungen, damit Fonts im Betriebssystems funktionieren; sie entscheiden über die Rendering-Qualität und wenden due dazu passende Strategie an; sie respektieren die Altdaten und sorgen dafür, dass alle OpenType-Funktionen wie erwartet funktionieren.
Bei manchen Projekten kommen die Font-Engineers erst ins Spiel, wenn das Design komplett abgeschlossen ist. Bei anderen sind sie von Anfang an mit dabei, insbesondere wenn das Projekt auf Altdaten aufbaut, die vor dem formellen Beginn des Designs erst überprüft werden müssen. In solchen Fällen erkennen die Technikerinnen und Techniker potenzielle Probleme im Vorfeld, noch bevor sich die Type-Designer ans Werk machen. „Die umfassende Erfahrung von Monotype im Umgang mit Traditionsdaten bedeutet, dass unsere Schriftingenieure neue Zeichen hinzufügen oder bestimmte Merkmale einer Schrift ändern können, ohne die Rückwärtskompatibilität zu gefährden“, erläutert Mayger.
Wenn das Design final ist, springt ein Font-Ingenieur ein und übernimmt alle Aufgaben, um die Font-Software-Entwickung zu vollenden. Die Qualitätskontrolle ist entscheidend für die Definition und Überprüfung der erforderlichen OpenType-Funktionen, wobei gelegentlich kleinere Korrekturen an den Umrissen vorgenommen und administrative Schriftdaten gepflegt werden. In den meisten Fällen bespricht der Schriftingenieur die Details mit den Entwerfern, um sicherzustellen, dass das Endprodukt das bestmögliche Ergebnis darstellt.
Bei Exklusivschriften kann dies bedeuten, dass die Monotype-Techniker die Font-Tabellen an die spezifischen Anforderungen des Kunden anpassen. Mayger, der an Projekten für große globale Technologie- und Automobilunternehmen gearbeitet hat, die das gesamte Spektrum an Sprachen und Schriften abdecken, berichtet, dass seine Rolle „Aufgaben umfasste, mit denen die Darstellung von Glyphen und Ideographien in vielen verschiedenen Umgebungen verbessert und ausgebaut werden konnte. Wenn diese Phase abgeschlossen ist, müssen wir alle von uns erstellten Daten überprüfen und validieren. Die Schriftentechniker von Monotype haben viele hausinterne Tools und Skripte entwickelt, die mit den meisten Datenformaten kompatibel sind, um die Effizienz, Robustheit und Eleganz der Schriftentwicklung zu erhöhen und sicherzustellen, dass die Daten technisch korrekt, sauber und fehlerfrei sind.“
Manchmal haben die Font-Ingenieure auch die Aufgabe, raffinierte Problemlösungen zu finden. Mayger erklärt: „Wir sind in der Lage, verschiedene Schriften miteinander zu kombinieren. Für den Automobilsektor haben wir Fonts geschaffen, die Latein, Arabisch, Hebräisch oder Thai mit Chinesisch, Japanisch und Koreanisch zu Super-Fonts verbinden, die in digitalen Displays eingesetzt werden. Die Kombination dieser Schriften in einer Font-Datei erleichtert die Handhabung innerhalb der Benutzeroberfläche. Wir versuchen auch, den Platzbedarf der Dateien zu verringern und so den Speicherbedarf zu minimieren.“
„Der Ingenieur ist auch dafür verantwortlich, dass alle Urheberrechts-, Marken- und Lizenzeinträge vollständig und korrekt sind, damit der Kunde weiß, dass seine Daten nicht nur korrekt funktionieren, sondern auch rechtlich einwandfrei sind.“
Die Bedeutung des Font-Engineering.
Für Marken muss eine Font-Familie, neben ihrem Erscheinungsbild, drei grundlegende Eigenschaften erfüllen: Die Fonts müssen zuverlässig, planbar und langlebig genug sein, um eine visuelle Identität über eine große, manchmal unvorhersehbare Bandbreite von Berührungspunkten zu transportieren.
„Eine ausgereifte Schrift muss in vielen Umgebungen einwandfrei funktionieren. Die Grafikdesigner brauchen sich keine Sorgen zu machen, ob ihre Arbeit so aussehen wird, wie sie es sich vorstellen, denn das Font-Engineering sorgt dafü, dass die Schriften wie erwartet funktionieren. Ich denke, wenn die Schrift sich entspannt einfügt und unauffällig ihre Aufgabe übernimmt, sind wir erfolgreich gewesen. Wenn sie dagegen heraussticht, weil etwas irgendwie merkwürdig aussieht, vielleicht die Unterschneidung oder die Strichstärke, dann haben wir wohl ein paar technische Probleme, die sich auf die Darstellungsqualität und das Benutzererlebnis auswirken“, so Mayger.
Marken wollen ihrem Publikum ein nahtloses Benutzererlebnis bieten. Sie wollen so wenig Reibungspunkte wie möglich erzeugen, um potenzielle Kunden dazu zu bringen, ihre Produkte zu kaufen – egal, ob der Kunde in spe gerade einen Blog-Beitrag oder ein Schild direkt im Ladengeschäft liest. Und wenn die Verantwortlichen einer Marke für die Verwendung (oder das individuelle Design) einer Schriftart gutes Geld bezahlen, dann erwarten sie ein hochwertiges Produkt, das sowohl in der Gegenwart gut aussieht als auch in der Zukunft Bestand hat. Ausgereifte Schriften können das alles leisten.
Guy Mayger, Font-Engineer bei Monotype.
Wenn eine Schrift nicht richtig konzipiert wurde, besteht die Gefahr, dass die erforderlichen Daten nicht oder nicht wie erwartet funktionieren. Einer der schwierigsten Aspekte bei der Entwicklung von Schriften ist es, sicherzustellen, dass sich die Schriften auf den unterschiedlichen Plattformen ähnlich verhalten. Es gibt mehrere Sätze vertikaler Metriken in einer Schriftart, und verschiedene Betriebssysteme und Anwendungen verwenden diese nicht alle auf die gleiche Weise.
Ebenso können die Schriftnamen von Plattform zu Plattform variieren, und die einzelnen Anwendungen unterscheiden sich darin, welche Namen der Schrift in einem Dokument gespeichert werden. Die Bewältigung dieser Herausforderungen erfordert ein kontinuierliches Studium neuer Softwareversionen und das Testen älterer Schriftdaten auf der neuesten Software, um sicherzustellen, dass die Funktionalität nicht beeinträchtigt wurde.
Dieselben Herausforderungen können auftreten, wenn eine bestehende Schriftfamilie erweitert oder in irgendeiner Weise aktualisiert und verbessert wird. Das Hinzufügen neuer Akzentzeichen zu einer lateinischen Schriftart erfordert eine sorgfältige Prüfung der vertikalen Metrik der Ausgangsschriftart. Wenn neue Glyphen gezeichnet werden sollen, welche die aktuelle maximale Höhe überschreiten, wäre das Ergebnis entweder ein Abschneiden der Schrift auf dem Bildschirm (wenn ein Teil der Glyphen nicht gerendert werden kann) oder die vertikale Metrik müsste erhöht werden, um diese Formen aufnehmen zu können. Eine Änderung der vertikalen Metrik würde aber bedeuten, dass bereits erstellte Dokumente, die mit der neuen Schrift geöffnet werden, neu umbrechen. Diese Art von Verhaltensänderung ist eine unerwartete Veränderung und sie wäre für die meisten Kunden nicht akzeptabel.
Während sich moderne Marken immer mehr in Richtung flexibler visueller Identitäten bewegen, die sich den Trends auf dem Markt entsprechend frei anpassen können, sind Schriften oft der wichtigste Baustein, um eine Kontinuität über alle Berührungspunkte hinweg zu gewährleisten. Dies setzt die Schriften selbst unter großen Erwartungsdruck. Eine intelligente Technik ist unerlässlich, um sicherzustellen, dass sie dieser Aufgabe gewachsen sind.
Mayger resümiert: „Das Ziel von Monotype ist es stets, zuverlässige und langlebige Schriften für seine Kunden zu produzieren und zu liefern. Und das bedeutet, den Fokus auf das Design und die Datenqualität zu legen.“ Schließlich ist eine schöne Schrift allein nicht viel wert, wenn sie nicht zugleich die Funktionalität und Flexibilität bieten kann, die der moderne Markt erwartet.
Tom Rickner, Direktor des Monotype-Designstudios, hat ebenfalls an diesem Artikel mitgewirkt.