Hinter der Schrift: Die Herausforderungen eines Alleingangs.
Die Schriftgestaltung ist ein seltsames Handwerk. Zwar kommen viele Menschen über ihr Font-Menü oder beim Bauen von PowerPoint-Folien mit Schrift in Berührung, doch nur wenige wissen, dass eine Vielzahl von Designer und Herausgeber tagtäglich ihren Beitrag zu typografischen Kultur leisten.
Schriften wachsen nicht an Bäumen. Von der Konzeption und deren Design, über die technischen Umsetzung bis hin zum Marketing kann die Entwicklung einer neuen Schriftfamilie viele Monate, wenn nicht Jahre in Anspruch nehmen. Hinter jedem einzelnen Buchstaben steckt ein Mensch, der akribisch die Kurven und Formen von Buchstaben gezeichnet hat, die später unzähligen Texten auf der ganzen Welt ihre Stimme verleihen.
Es ist ein mühevoller Prozess, selbst wenn man in einem großen Studio wie bei Monotype arbeitet; erst recht für unabhängige Designer, die alles selbst machen müssen.
Dieser Weg, steinig und schwer
Einer davon ist Paulo Goode, ein unabhängiger Designer in Irland, der relativ neu dabei ist, aber in den letzten fünf Jahren mehrere populäre Entwürfe veröffentlicht hat. Goode absolvierte ursprünglich eine Ausbildung als technischer Illustrator, wechselte aber nach dem Kauf eines Macintosh Anfang der 90er Jahre zum Grafikdesign.
„Für mich waren Schriften entweder das, was ich von Letraset-Bögen auf Papier gerubbelt habe oder mit der Compugraphic-Satzmaschine auf Film“, erinnert er sich. „Auf einmal konnte ich meine eigene Schrift entwerfen und sie dehnen und verzerren, wie ich wollte. Es war eine aufregende Zeit.“
Nach mehreren Jahren als angestellter Grafikdesigner entschied sich Goode für den Einstieg in die Font-Industrie, und seit Ende 2016 arbeitet er in Vollzeit als Selbstständiger daran, neue Schriften zu schaffen. Seiner ersten Veröffentlichung „Carrig“ gab er als Widmung mit auf den Weg, dass sie ihm dabei half, „sein Hobby in einen Vollzeitjob zu verwandeln“.
„Ich liebe die Spannung bei der Entwicklung einer neuen Schrift“, sagt er. „Sie vom Skizzenbuch auf den Bildschirm zu bringen und dann damit zu tippen. Ich liebe den E-Mail-Ping bei jedem neuen Verkauf. Es ist immer noch ein tolles Erlebnis für mich, wenn die Leute Geld für meine Schriften investieren, und ich bin noch jedes Mal dankbar dafür.“
Gleichwohl räumt er ein, dass er sich trotzdem noch nicht vollständig etabliert fühlt. „Ich habe mich verausgabt, mich langsam verbessert, verschiedene Ideen ausprobiert und im Stillen gute Schriften angeboten“, sagt er. „Ich habe eine kleine Schar treuer Abonnenten, von denen viele regelmäßig meine Fonts lizenzieren. Doch ich glaube, um vom Schriftenmachen zu leben braucht man einen Bestseller (oder mehrere), oder einen Entwurf, der von der Design-Community gepriesen wird.“
„Als langjähriger Designer und Schriftkäufer – vor meiner Zeit als Schriftentwerfer – weiß ich, dass man sich gut an den Namen einer tollen Schrift erinnert, aber leider weniger an die Person, die sie entworfen hat.“
Für Jessica McCarty war die Suche nach dem eigenen Blickwinkel ein wesentlicher Erfolgsfaktor. McCarty gründete die Magpie Paper Works, eine Schriftschmiede, die sich auf digitalisierte Handschriften und Exklusivschriften spezialisiert hat. Sie ist der Ansicht, dass es der Austausch mit den Menschen war, der sie im Geschäft gehalten habe. Nach einer Karriere in der Werbung begann McCarty damit, als Zweitjob Hochzeitseinladungen zu entwerfen, parallel zum Tagesgeschäft. Auf der Suche nach einer passenden Schrift für ein Projekt – auffällig, modernen-kalligrafisch aber nicht zu „digital“ – entschied sich McCarty irgendwann dazu, es selbst zu machen. „Ich dachte mir: Wie schwer ist das eigentlich?“, erzählt sie uns. „Heute weiß ich: Sehr schwer!“
„Ich liebe es, mit Kunden darüber zu sprechen, was sie brauchen und was sie mit den Schriften anstellen möchten“, sagt sie. „Als Schriftgestalter haben wir dann die einmalige Gelegenheit, mit Menschen zu sprechen, der nicht mal weiß, wie man einen Font installiert und lediglich ein Dokument in Pages bauen möchte. Wir können sie in unserer Welt willkommen heißen und ihnen zeigen, wie wunderbar es ist, Zugang zu Produkten zu haben, mit denen man schöne Dinge gestalten kann, sei es ein gedrucktes Blatt oder eine PowerPoint-Präsentation, die schöner wird.“
Nachdem sie 2017 zwei weitere Foundries gegründet hatte – Rare Bird Fonts, spezialisiert für den Hochzeitsmarkt, und Section Type, das sich auf Vintage-Revivals konzentriert – verriet uns McCarty, dass sie es als den schwierigsten Teil ihrer Arbeit empfindet, einfach mal das Gehirn auszuschalten. „Ich habe viele Ideen, die in meinem Kopf herum kreisen, aber auch jede Menge Bürokram an der Backe. Das ist die langweilige Seite im Schriftdesign: Buchhaltung und Instagram-Posts erstellen. Es ist weiß Gott kein Schreibtischjob, bei dem um 17 Uhr der Griffel fällt, bis zum nächsten Morgen. Ich erzähle gerne, mit einem Augenzwinkern, dass ich unter der Dusche nie allein bin, denn mein Business begleitet mich überall hin.“
„Jeder glaubt, dass Schriften einfach nur da sind, weil so viele davon auf dem Computer vorinstalliert sind“, ergänzt John Roshell, der Mitbegründer von Comicraft. „Die meisten Leute haben keine Ahnung, dass es Menschen gibt, die sie mühsam erschaffen und deren Lebensunterhalt von diesen Schriften abhängt.“
Roshell stieg Anfang der 90er Jahre mit dem Comicraft-Gründer Richard Starkings ins Schriftenmachen ein, mit einem Entwurf, der die Direktheit und Eigenheit von Starkings Lettering in sich tragen sollte. Später fertigte er Schriften für die „Soundeffekte“ in Comics an, sowie Fonts, die auf der Handschrift verschiedener Künstler basierten.
1995 begann Comicraft damit, seine Schriften auf Disketten, CD-ROMs und per Versandhandel über seine Website zu verkaufen, hauptsächlich an andere Comic- und Schriftkünstler. Für Roshell war es entscheidend für den Erfolg des Studios, dieses spezielle Publikum zu finden. „Ich glaube, diese kleine und in sich abgeschlossene Zielgruppe ins Auge zu fassen, hat uns definitiv geholfen“, sagt er.
„Wir haben unser Publikum über E-Mail-Listen und soziale Medien aufgebaut. Wir verfügen über eine loyale Kundenbasis, die so ziemlich alles kauft, was wir veröffentlichen. Alle sind total begeistert von dem, was wir produzieren. Ich denke, es hilft ungemein, sich auf ein bestimmtes Genre zu fokussieren.“
Trotzdem glaubt er, wie auch McCarty, dass es noch viel zu tun gibt, um das Publikum über Schrift aufzuklären und Gelegenheitsnutzer zu erreichen, die nicht verstehen, warum Schriften was kosten, wie man sie benutzt oder wo und wie man neue Fonts kauft. McCarty versucht das zu erreichen, indem sie in Foren aktiv bleibt und sich Käufern mit Fragen zur Verwendung von Schriften zur Verfügung stellt.
„Ich spreche gerne darüber, welche gravierenden Unterschiede es beim Wert von Schriften gibt. Das ist durchaus vergleichbar mit dem Unterschied zwischen einer 10-Dollar-Tasche von Walmart und einer 1000-Dollar-Tasche von Hermes“, erklärt die Designerin. „Man hat natürlich auch unzählige Möglichkeiten dazwischen. Und gerne spreche ich auch über die menschliche Seite des Designs, dass es eine Person auf der anderen Seite des Bildschirms gibt, die diese oder jene Schrift entworfen hat.“
Jessica McCarty, Gründerin von Magpie Paper Works.
Goodes Vorschlag, um mangelndes Verständnis zu beseitigen: „Probier’s mal aus“, scherzt er. „Lade dir die Demoversion von Glyphs herunter und fang mal an, deine eigene Schrift zu bauen. Du wirst sehr schnell feststellen, wie schwierig das ist. Nicht nur der Grundstein, der irgendwie funktioniert, sondern vor allem die Verfeinerung, die wirklich gut funktioniert. Die Tücke liegt im Detail. … ein seltsames Zusammenspiel von Kreativität und Technik.“
Mach dich bemerkbar
Neben der Zeit, die man für das Erstellen einer Schrift aufbringen muss, gehört auch noch das Rühren der Werbetrommel dazu. Laut Goode ist der Fontmarkt hart umkämpft, und dies nimmt eher zu. „Als ich anfing, online zu verkaufen, dachte ich eigentlich, dass der Markt gesättigt sei. Heute, vier Jahre später, ist er übersättigt.“
Für viele Designer waren Vertreiber wie MyFonts ein Weg durch diesem Dilemma, weil sie ihnen dabei halfen, bekannt zu werden und zu verkaufen. Goode betont, dass die Bewerbung seiner Schriften von unschätzbarem Wert für seine Karriere im Typedesign war.
„MyFonts ist einfach unvergleichlich in Bezug auf Besucherzahlen. Nirgendwo sonst werden die Schriften, die man veröffentlicht, von so vielen Leuten gesehen. Und die Liste der Hot New Fonts ist fantastisch für unsere Kunden“, so McCarty. „Wenn man den Zeitgeist zur richtigen Zeit einfängt und etwas erschafft, was die Kunden gerade suchen, kann man tolle Erfolge verbuchen. Man hat einen Marketingpartner, der aktiv mitarbeitet, auch hinter den Kulissen. Ich glaube nicht, dass ich schon gleich zu Beginn Erfolg gehabt hätte, wenn MyFonts nicht da gewesen wäre.“
Ein gesunder Marktplatz für Schriften ist in einer Branche unerlässlich, die auch von Piraterie und Lizenzverstößen heimgesucht wird. Font-Piraterie ist ein großes Problem für die ganze Gemeinschaft, aber besonders für kleinere Fonthäuser und unabhängige Designer, die nicht über die Ressourcen verfügen, sich dagegen zu wehren.
Jessica McCarty, Gründerin von Magpie Paper Works.
„Wir halten unentwegt nach illegalen Font-Kopien Ausschau und schreiben dann den Anbietern oder Benutzern: ,Hey, sieh mal, damit bezahle ich eigentlich meine Rechnungen und das Essen auf dem Tisch.‘“ Auch wenn Roshell betont, dass die Leute überraschend einsichtig sind, ist es ein harter Kampf gegen die Auffassung, dass Fonts Allgemeingut seien.
Auch wenn die Selbstständigkeit mit Rückschlägen und Herausforderungen verbunden ist, herrscht allgemein Optimismus bezüglich der Zukunft des Schriftdesigns. Das Wissen über Fonts hat sich in den letzten fünf Jahren zweifellos erhöht, und immer mehr Nutzer erkennen die Arbeit an, die in die Entwicklung von Schriften fließt, und den Wert, den sie für die visuellen Kommunikation haben.
„Man begegnet inzwischen sogar Memes über Schriften, was jedes Mal mein Herz erwärmt“, weiß McCarty zu berichten. „Es ist nicht mehr diese komische Sache, die nur bestimmte Menschen entwerfen oder kaufen. Da immer mehr Designer ausgebildet werden, denke ich, dass manche in der Branche sich darüber Sorgen machen, wie es in den nächsten fünf Jahren weitergeht. Aber ich glaube, dass eine steigende Flut alle Schiffe anhebt. Je mehr Menschen schöne Produkte herstellen, umso mehr Kunden suchen nach diesen schönen Produkten. Wir alle können davon profitieren.“